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Einleitung

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Bleiches Waldvögelein

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Stattliches Knabenkraut

Helm-Knabenkraut

Brand-Knabenkraut

Der Orchideenbestand der Ehrenbürg

Folgerungen für den Naturschutz

Anhang

Liste gefährdeter Arten im Untersuchungsgebiet

Literaturverzeichnis


Realisation durch faktor i, mit freundlicher Genehmigung der Autoren A. Riechelmann und A. Zirnsack.

Müllers Stendelwurz

Epipactis muelleri GODFERY

Anklicken zum VergrößernEpipactis muelleri wurde von uns 1996 erstmalig für das Gebiet der Ehrenbürg nachgewiesen. Wahrscheinlich kam die Art schon länger, wenn auch selten, im Untersuchungsgebiet vor; da sie bei flüchtiger Betrachtung an Epipactis helleborine erinnert, wurde sie oft mit ihr verwechselt.

Mitte Juli 1996 fanden wir drei Exemplare in Vollblüte direkt am Rand eines Wanderweges entlang des südöstlichen Abfalls des Rodenstein. Der Ruf des Schwierigen, der dem Epipactis helleborine-Komplex anhaftet, gilt zumindest für diese Art nicht. Mit den sichelförmigen, leicht gekielten Blättern, besonders aber mit den kleinen cremefarbenen, glockig nach unten hängenden Blüten ist diese Pflanze auch ohne Blütendetail-Diagnose unverkennbar. Man muß sie nur einmal bewußt gesehen haben. Auch an dem einseitswendigen, meist gut entwickelten Fruchtstand mit den fast waagrecht abstehenden, kurzen und dicken Fruchtkapseln mit kleinen Blütenresten läßt sich die Müllers Stendelwurz auch lange nach der Blütezeit noch sicher bestimmen.

Die Pflanzen standen am Rande eines ehemaligen Hirschhaarstrang-Saumes (Geranio-Peucedanetum cervariae TH. MÜLL. 61), der inzwischen fast völlig von der Schlehe (Prunus spinosa), der Wald-Haselnuß (Corylus avellana) und der Gemeinen Waldrebe (Clematis vitalba) überwuchert worden ist. 1997 blühten nur noch zwei Pflanzen und 1998 trafen wir nur noch ein Einzelexemplar an. A. & CH. NIESCHALK (1970) halten Epipactis muelleri für eine Reliktart unser heimischen Flora, die zu einer rezenten Vermehrung und Ausbreitung nicht mehr befähigt ist. Der Standort bildet das Ende eines Geröllfeldes, das sich stabilisiert hat; der sehr trockene und steinige Boden besitzt nur eine äußerst geringe Humusauflage. Der Zustand des Bodens war trocken, eine pH-Messung ergab den Wert 6,5. Für die im Halbschatten stehenden Pflanzen lag die Beleuchtungsstärke am Vormittag zwischen 1 000 und 2 000 Lux, am Nachmittag betrug sie ca. 15 000 Lux.

Mitte Juli 1998 stießen wir am Rande eines östlich exponierten Hangwaldes auf zwölf Exemplare der Müllers Stendelwurz. Die Blütezeit verlief infolge langanhaltender Trockenheit sehr rasch ab, an mehreren Pflanzen trockneten die Knospen ein und kamen gar nicht zum Blühen. Das Gelände wird dort ebener, und das Geröll hat sich mit dem Oberboden, der überwiegend aus Mull besteht, zu einem mit Steinen durchsetzten und mit wenig Laub bedeckten Rendzinaboden verbunden. Hier findet die Rot-Buche (Fagus silvatica) so gute Bedingungen, daß sie fast alle anderen Baumarten verdrängt; selbst die sonst allgegenwärtige Gemeine Esche (Fraxinus excelsior) trifft man nur noch als Jungwuchs in der Strauchschicht an. Es handelt sich in diesem Bereich der Ehrenbürg um den typischen Hangbuchenwald (Lathyro-fagetum typicum sensu KÜNNE 69).

Die Krautschicht beherbergt mit hoher Stetigkeit die Frühlings-Platterbse (Lathyrus vernus), das Wald-Veilchen (Viola reichenbachiana) und die Gewöhnliche Sanikel (Sanicula europaea). Gut vertreten sind aus dem Bereich der Gräser die Haar-Hainsimse (Luzula pilosa) und das Wald-Knäuelgras (Dactylis polygama). Ansonsten ist diese Subassoziation negativ differenziert, vor allem durch das Fehlen von wärmeliebenden Arten aus dem Orchideen-Hangbuchenwald (vergl. KOMMA 1985).

Der Abstand der Buchen liegt zwischen fünf und acht Meter, so daß genügend Licht den Waldboden erreichen kann. Trotzdem geht Epipactis muelleri nicht in das Innere des Waldes, sondern steht nur am Waldrand, denn sie benötigt offenbar lufttrockene Standorte (BAYER 1980).  In diesem Bereich konnten wir Beleuchtungsstärken zwischen 5 000 und 20 000 Lux feststellen (Variationsbreite des Lichtgenusses in Prozent der absoluten Strahlung: sonnig 6% - 25%). Sterile Triebe traten an diesem Standort nicht auf. Zwei Messungen im frischen  Ah-Horizont ergaben pH-Werte von 6,3 und 6,4.

Mehrere Autoren (z.B. REICHLING 1970 und BAYER 1980) halten Epipactis muelleri für eine thermophile Art; in der Umgebung der Müllers Stendelwurz an der Nordost-Seite der Ehrenbürg fehlen aber ausgesprochen wärmeliebende Arten. So erachten wir es für zutreffender Epipactis muelleri, die im Gegensatz zu den in der Regel früh austreibenden thermophilen Arten erst spät austreibt, als eine Sommerwärme liebende Art anzusprechen (vergl. NIESCHALK 1970). 

Das zerstreute Auftreten von Epipactis muelleri, die relative Individuenarmut der Populationen und die nicht gerade große Zahl geeigneter Biotope bedingen eine akute Gefährdung der Art auf der Ehrenbürg, so daß alle Möglichkeiten zu ihrer Erhaltung voll ausgeschöpft werden müssen.